Gottfried Binder

Bildende Kunst, Film / Funk, Neue Medien

STATION BANAT

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STATION BANAT
SÜDOSTEUROPA, ANFANG DES 18. JAHRHUNDERTS IM KÖNIGREICH ÖSTERREICH–UNGARN:
PRINZ EUGEN VON SAVOYEN GEWINNT FÜR DIE HABSBURGER DEN KRIEG GEGEN DIE TÜRKISCHE INVASION UND BEFREIT DAS BANAT.

EINE ENTVÖLKERTE UND VERWÜSTETE REGION BLEIBT ZURÜCK. DIE WIENER HOFKAMMER BESCHLIESST, DAS AN NATUR– UND BODENSCHÄTZEN REICHE TERRAIN AUFGRUND DES MANGELS AN QUALIFIZIERTEN FACHKRÄFTEN MIT ZUWANDERERN AUS DER GESAMTEN MONARCHIE ZU BESIEDELN.

ÜBER EINEN LÄNGEREN ZEITRAUM HINWEG KOMMEN ENTLANG DER DONAU KONTINUIERLICH KLEINERE MEIST DEUTSCHSPRACHIGE GRUPPEN MIT IHREN FAMILIEN, DIE SICH AM RANDE RUMÄNISCHER DÖRFER ANSIEDELN, NEUE ORTE GRÜNDEN UND BIS HEUTE ZUR IDENTITÄT DER REGION BEITRAGEN.

Synopsis

Das durch die strukturelle Kolonisation mit deutschstämmigen Siedlern und Siedlerinen während der K.u.K–Monarchie des 18. Jahrhunderts stark geprägte Gebiet des Banats spiegelt – bedingt durch seine Geschichte, Politik und Migration – die Einflüsse zahlreicher europäischer Kulturen in einzigartiger Weise. Nach fortwährender Umstrukturierungen, Kriegen, geopolitischen Grenzverschiebungen, sozialistischer Planwirtschaft und neokapitalistischer Konsumgesellschaft steht das Banat heute emblematisch für eine sich im Wandel befindliche Welt.

Es herrscht nicht nur geographisch eine Transit-Situation zwischen der „alten“ und der „neuen“ Welt, in der die eigene Identität in einem ständigen Abgleich neu er- und gefunden werden muss.

EXPOSÉ

Mittels Zugang zu exklusiven Interviews mit Zeitzeug:innen, Expert:innen, privaten Aufnahmen, Archivmaterial und Szenen aus dem Alltagsleben des modernen Banats, nähert sich STATION BANAT aus zeitgenössischer Perspektive grundsätzlichen Themen wie individueller Identität und kollektiver europäischer Geschichte.

So steht das historische Schicksal dieser weitgehend unbekannten Peripherie seit den frühen 2000er—Jahren am de juro Rande Europas stellvertretend für globale Phänomene und Zusammenhänge unter den Vorzeichen stetiger Veränderungen und Anpassungen. Ziel ist es, ein zeitgenössisches Abbild zu schaffen, welches die unterschiedlichen historischen und kulturellen Aspekte reflektiert und eine Brücke zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen baut.

Die Geschichte der deutschen Minderheit steht in diesem Zusammenhang für einen innen– und außeneuropäischen Migrationsprozeß und spiegelt aktuelle Fragen und Probleme der Zeitgeschichte wider. Das Banat als reiche multi–ethnisch geprägte Kulturregion birgt das Potenzial zur Analyse in ganz besonderer Weise. Welchen Widerhall findet die fernen Geschichten dieser Ethnien in der Gegenwart?

HINTERGRÜNDE ZUR ENTSTEHUNG DES FILMS
Thematischer Ausgangspunkt des Films ist die persönliche Verwurzelung des Autors in der Region, die Auswirkungen historischer Flucht und Vertreibung, die omnipräsenten Auswirkungen und die Auswirkungen der Globalisierung im Kontext der EU-Erweiterung, die Dynamiken der Arbeitsmigration osteuropäischer Saisonarbeiter:innen, der alltäglichen Verlagerung von Notwendigkeiten sowie die Aufarbeitung historisch bedingter Traumata.
Der Film ist das Ergebnis einer persönlichen Wiederannäherung: angefangen 2017 mit einer Wanderung von Deutschland nach Rumänien in das ehemalige Dorf, fortgesetzt 2018 mit lokalen Projekten im Banat zum Europäischen Kulturerbejahrund einer Publikation zum 100-jährigen Jubiläum des modernen Staates Rumäniens und ab 2019 der Teilnahme am Programm Temeswars als „Europäische Kulturhauptstadt 2023“ verschmelzen die Ergebnisse und Themen zu einem einzigen Ergebnis zusammen.

Besser als eine zeitlich und örtlich eingeschränkte Ausstellung, kann der Film spontan und flexibel an zahlreichen Orten physisch und in verschiedenen Kontexteneinem möglichst grossen Publikum zugänglich gemacht werden – zusätzlich ist der Film als kostenlose Vorführkopie unbeschränkt online zugänglich.

Entstanden inmitten der globalen Corona-Pandemie, reflektiert der Stil des Films die Schwierigkeiten, inmitten der Pandemie zu Reisen, Interviews zu führen oder direkt vor Ort im Banat Material zu sammeln. Insofern wird der Film auf dem bereits vorhandenen Material der vorherigen Projekte aufbauen und – sobald es die Lage wieder zulässt – bis 2023 mit neuem Filmmaterial ergänzt. Im Herbst 2019 fand bereits eine Ausstellung in Temeswar im Rahmen des Projektes als Teil von „Temeswar – Europäische Kulturhauptstadt 2023“ statt. Um weitere Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Verein der Ausrichtung der Kulturhauptstadt zu vermeiden, mündet auch deshalb das Gesamtprojekt ganz bewußt im Medium des Films.
PRODUKTION UND MARKETING
Als Ergänzung des seit 2017 laufenden ANA–Projektes zum kommenden Kulturhauptstadtjahr 2023 in Temeswar/Rumänien wird STATION BANAT einen Fokus auf die Geschichte der Deutschen Minderheit im Banat werfen und damit eine kosmopolitische Allegorie nachzeichnen. Einerseits fungiert der Film als komplementärer Bestandteil der langfristigen Beschäftigung mit dem Thema in Form des ANA-Projektes (Recherche 2017-2018, Zwischenpräsentation / Ausstellung 2019, Workshops 2018-2019, Film 2021-2022, Publikation 2023) zur Präsentation des Kulturhauptstadtjahres in Temeswar 2023 und andererseits als eigenständiger Film für Panels, Kino, Open-Air, On-Demand, Streaming etc.

Der Eventcharakter des Themas verdeutlicht die Entscheidung, den Film im Rahmen einer Tour im Kontext der Europäischen Kulturhauptstadt 2023 an unterschiedlichen Orten im Banat zu präsentieren, zusammen mit lokalen Gesprächspartnerinnen und Partnern einzuführen und individuell zu diskutieren. Der Film soll durch die Aufmerksamkeit während der Feierlichkeiten zur Kulturhauptstadt wirksam positioniert werden und später auch in Deutschland vorgeführt werden.

ZUSAMMENFASSUNG

STATION BANAT thematisiert ein politisch und gesellschaftlich relevantes Thema, hat einen klaren Bezug zur Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, besitzt auch internationale (vor Allem Europäische) Relevanz und ragt durch tiefgründige Recherche, exklusive Zugänge und eine außergewöhnliche und kreative Handschrift heraus.

STATION BANAT greift aktuelle Herausforderungen auf: Austausch und Bewegung, Grenz– und Begegnungsräume, Erinnerung und Aufbruch sowie die Frage nach dem Stellenwert von kulturellem Erbe. In Form einer künstlerisch verwobenen Montagewerden diese Themen generations- und sprachübergreifend zugänglich gemacht und zur Diskussion gestellt.

Der Film wird ohne Zugangsbeschränkungen unentgeltlich als Stream veröffentlicht und steht Dritten zur anderweitigen Verwendung zur Verfügung. Er soll sowohl zur einzelnen Vorführung entlang von Vorträgen geeignet sein aber auch als eigenständige Installation künstlerischen Ansprüchen genügen.

ENSÓ ROUND:ONE

Details
ENSÓ ROUND:ONE
Remastered 2023.

Mini DV/found footage, 4:3, Dolby Stereo, 59:53 min., colour, ger 2007/2023.

Round:one is the final visualisation of an album, which was made between 2000 and 2004 using ensó as a working title. The amalgamation of radio samples, guitar-riffs, electronic beats, synths and random recordings, which is dominant in the thirteen tracks of round:one, finds its end in the complementary video work made in 2007. Each title is accompanied by psychedelic / abstract and rhythmic pictures, which have not been created using the computer – in contrary: it is purely analog footage corresponding with the album's own character.

On the one hand round:one oscillates between very intimate moments, showing mother-son-conflicts or desperate theories trying to explain the world (in both scientif and personal approaches) and public hymns of power, expressed shortly after nine-eleven. The work is not split up in separate tracks – they are merged into one another using noise. This amalgamation and batching reminds of a random reception of surrounding vibrations and signals in the air.

The title of round:one focusses the album's position within a series of forthcoming works. It also clearly reminds of the Japanese word for "circle", which has a deep symbolic function in zen-buddhism. "Ensó" as a circle is painted in black ink over and over again using just one single flowing brush-movement. This way it is supposed to reflect the most general and pure form of being.

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“ENSÓ ROUND:ONE”, 2007
Experimentalfilm, MiniDV, 2.55:1, Farbe/Colour, Dolby Stereo, 59 Min, DEU/GER 2007

Round:one ist die abschließende Verbildlichung eines Albums, das zwischen 2000 und 2004 unter dem Arbeitstitel ensó entstand. Die Mischung aus Radiosamples, Gitarrenriffs, elektronischen Beats, Synthesizern und Zufallsaufnahmen, die sich durch die 13 Titel von round:one zieht, wird in der komplementären Videoarbeit von 2007 endgültig abgeschlossen. Jeder Titel wird durch psychedelisch-abstrakte und rhythmische Bilder begleitet, die nicht wie zu erwarten am Computer digital animiert oder gerendert wurden, sondern entsprechend dem Charakter des Albums, auch rein analog entstanden.

Thematisch changiert round:one zwischen sehr intimen Momenten, die von Mutter-Sohn-Konflikten oder verzweifelten Welterklärungsmodellen (wissenschaftlicher als auch persönlicher Art) zeugen und triumphalen öffentlichen Machthymnen, die im Zusammenhang mit nine-eleven geäußert wurden. Eine Unterteilung des Werkes in einzelne Titel gibt es nicht – Sie werden durch Rauschen ineinander verwoben und übereinandergelegt, so daß sie einem zufälligen Empfang, in der Luft befindlicher Strömungen und Signale zu gleichen scheinen.

Die Betitelung spielt einerseits auf die Stellung des Werkes als erste Etappe innerhalb weiterer geplanter Alben an. Andererseits nimmt es konkret Bezug zu dem Titel des Projektes: "ensó" ist die japanische Bezeichnung für "Kreisform", die in der Tradition des Zen-Buddhismus eine tiefe symbolische Bedeutung hat. Der ensó-Kreis wird in schwarzer Tusche immer wieder mit einem einzigen fließenden Pinselstrich gezeichnet und soll so die allgemeinste natürliche Form des Daseins widerspiegeln.

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remastered 4K, 2023
3840 x 1545,29 px (Ratio/Verhältnis 2.4849 : 1)
Widescreen Aspect Ratio 2.5 zu 1

(KAPITEL)

01.ASIANTRIUMPHREVERSE20RIG 0:48 MIN
02.GOODBEATWITHPEAK 4:26 MN
03.THEOPTIMIST 4:06 MN
04.BUSHWEWELTENDREAMJANA 10:55 MIN
05.DIVERSITAS 0:56 MN
06.RENÉTELEFONIERTSUMBUM 3:53 MIN
07.DIVERSITASPREMIXGEVOGELT02 14:50 MN
08.BPIANOINTERLUDEFILTER 1:02 MN
09.MUTTERLIEBE1FIL 2:24 MIN
10.WORDSSOUNDCUTFILTERED 5:36 MN
11.THINICEKURTZ 3:39 MN
12.KEYGUIFRICTIONSPOKEN 4:32 MN
13.0UTRO 1:04 MN

Eine Umwanderung entlang des Bitterfelder Weges. Über Umwege.

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Eine Umwanderung entlang des Bitterfelder Weges. Über Umwege.
Ebenso wie die Wirtschaft und Verwaltung, war die Kulturpolitik der DDR zentral organisiert. Seit der Gründung des Staates formulierten mehr oder weniger kompetente Funktionäre Anweisungen, die die Kunst determinierten und die für die Entwicklung der Kultur richtungsweisend sein sollten. "Greif zur Feder, Kumpel! Die sozialistische Nationalkultur braucht dich!" wurde durch Walter Ulbricht zu einer griffigen Parole der 1. Bitterfelder Konferenz 1959.

Nun gingen Künstler in die Betriebe, um einen Einblick in das wirkliche Leben zu erhalten. Auf der anderen Seite lernten die Werktätigen in Zirkeln, sich künstlerisch auszudrücken. Die Kunst und der Beruf des Künstlers waren nichts Elitäres und jeder körperlich schwer Arbeitende galt als potentieller Schriftsteller. Den Feierabend als Zeit der Muse und des Rückzugs sollte es nicht mehr geben: Auch in der "Zweiten Schicht" wurde gearbeitet. An der Erziehung zu einem besseren Menschen.

Dieser Film versucht die Ansätze der politischen sowie künstlerischen Positionen der Nachkriegszeit in der DDR und der BRD zu beleuchten und sie in einen gemeinsamen Zusammenhang zu stellen. Großflächige politische Einflußnahme auf die Kulturwirtschaft, auf Künstlerzirkel und in den Fabriken der DDR auf der einen Seite und das zeitlich parallele Bestreben verschiedener Bewegungen, wie Fluxus in der bildenden Kunst, oder der Systemtheorie in der Soziologie in der Bundesrepublik, verschmelzen zu einem generellen gesellschaftlichen Anliegen.

Der Film bedient sich hierbei öffentlich zugänglichen Materials und verzichtet – bis auf ein zentrales Interview mit Protagonisten eines bis heute bestehenden Malzirkels in Bitterfeld – auf selbst produziertes Material. Selstreferenzialität, Verschachtelung von Erzählebenen, die Thematisierung der Möglichkeiten bzw. Abhängigkeiten der Kunstproduktion, der politisch instrumentalisierten öffentlichen Kunst und nicht zuletzt der Umgang mit fremdem Eigentum im künstlerischen Schaffensprozeß, waren Anlaß, diese Art von Rückschau mittels eines Filmes zu argumentieren.


Erstaufführung:

Symposium 50 Jahre Bitterfelder Weg. August 2009 im Kulturpalast Bitterfeld-Wolfen.

Darsteller:

Roland Lasch, Juliane Richter, Heinz Zwick, Herbert Ruland, Steffanie Ohle.

KYRA (a film by)

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KYRA (a film by)
Gefilmt auf einem Apple iMac mit OS 10.6.8 und einem MacBookAir mit OS 10.9 unter Zuhilfenahme der eingebauten Standardwerkzeuge in QuickTime 8 sowie der betriebsinternen Werkzeuge des Finders.

Synopsis

IM JAHR 2015 SOLLTE VON EINEM HUND EIN FOTO GEMACHT WERDEN. ES WURDE EINE NEUE KAMERA GEKAUFT UND EIN SONNIGER TAG AUSGESUCHT. DOCH DIES WAR NUR DER BEGINN EINER FOLGENSCHWEREN KETTENREAKTION…



EINFÜHRUNG

Es gibt Filme welche mittels einer Kamera, eines Materials, einer Optik und so weiter maschinell entstehen können. Und diese Art von erzeugten Bilder traut man, denn sie bilden unsere Welt mehr oder weniger gut und verläßlich – objektiv – ab.

Wir können uns besser an Orte und Menschen, Dinge und Situationen erinnern, wenn wir mittels kameraerzeugter Bilder mit Ihnen konfrontiert werden.

Auch Videoaufnahmen begwegter Abläufe und Töne sind ein Sprungbrett unserer Fantasie und Erinnerung: alles lebt wieder, spricht – ist wie überbrückt erneut da und anwesend.

Es gibt aber auch Bilder, die keiner Kamera, keiner Optik in dem herkömlichen und physischen Sinne benötigen um Bilder als Ergebnis eines fotochemischen Prozesses zu erzeugen. Ein Screencapture eines Bildschirms ist so eine Art von maschinell hervorgerufenem und fixiertem Bild.



ENTSTEHUNG

Um eine neu gekaufte Digitalkamera auszuprobieren, wurde ein Hund namens Kira an einem sonnigen Nachmittag zu Testzwecken fotografiert. Während der späteren Begutachtung der entstandenen Bilder am Rechner, entfaltet sich eine Reise in die Tiefen des Darstellbaren und Sichtbaren.



Die Illusion einer kontinuierlichen und ununterbrochenen Transformation entfaltet sich vor unseren Augen und hinterfragt die gewohnte Wahrnehmung von Realität und Geschichte.

Auf einem handelsüblichen Computer, als sich stets überlagerndes Screencapture in Echtzeit gefilmt und ausschließlich mit den systemeigenen Standard–Schneide– und Bearbeitungswerkzeugen narrativ montiert, erzählt der experimentelle Film bewußt reduziert, aber unnötig lange, in einer hypnotischen Überlagerung von Tönen und Bildern von digitaler Abstraktion, Aktion und Reaktion, zirkulärer Veränderung, dem auto–generativen Verhältnis unterschiedlicher Kategorien von Bildern und der spielerischen Autonomie eines künstlerischen Schaffens– und Ermächtigungsprozesses.


BESCHREIBUNG

Der erste Teil ›PRISMA‹ untersucht in sich wiederholenden Schleifen inhaltlich geschichtliche und psychologische Muster in einer fast unerträglichen Weise. Es geht um Nazis. Es geht um Wiederholung der Banalität des Bösen. Es geht um Aufarbeitung. Es ist eine Zumutung. Es ist eine Konfrontation mit der Vergangenheit Deutschlands. Eine Tortur.



Entstanden aus dem Ausprobieren einer neugekauften Fotodigitalkamera und dem Posieren eines Hundes zum Zwecke eines Testbildes, stellt der zweite Teil ›KYRA‹ eine Betrachtung des technischen Mediums und der Durchdringung zeigender Apparate und Mechanismen dar.



Etwas mit Kreisen und so weiter und so weiter und so weiter.



Während der erste Teil mit rein analogen Mitteln Ende der 1990er Jahre als audiovisuelle Collage (Mini–DV, VHS, Kassettenrecorder und MiniDisc) die Monstrosität der Naziherrschaft in Zusammenhang mit popkulturellen Unterhaltungsmedien stellt, ist der zweite Teil ausschließlich als Videocapture mit rein digitalen Mitteln und ohne die Zuhilfenahme einer Videokamera entstanden. Dem organischen Chaos der analogen Überlagerungen, dem stetigen Qualitätsverlust, hervorgerufen durch unzählige Überspielungen, Verkabelungen und Neuaufnahmen, steht ein kontemplatives und analytisches Beobachten des sterilen Displayinhaltes gegenüber.



Beide Teile oszilieren in sich und um sich selbst und stellen Fragen an die Zumutbarkeit des Gehörten und Gesehenen. Sie fordern von den Zuhörenden und Zuschauenden eine klare Positionierung; entweder zum Inhalt oder zur audiovisuellen Ästhetik.



Beide Teile stehen formell und ästhetisch in starkem Kontrast zueinander und sind in sich verwoben. So wie unterbewusste Triebe und Ängste der Dynamik des autonomen Handelns zugrundeliegen und diese beeinflussen, ist der erste Teil in dem zweiten eingebettet und tritt mit diesem in Dialog.
Obwohl einige grundlegende Schnitte mittels FinalCut vorgenommen werden mussten, ist das Gesehene dennoch das Ergebnis einer kontinuierlichen Aufzeichnung des dargestellten Geschehens auf dem Bildschirm.



›a film by‹ entstand 2015 und ist somit einer der ersten Filme, die nicht mit traditionellen Kameras, Objektiven etc. entstanden ist, sondern ganz durch Screencaptures montiert wurde, welche das am Bildschirm angezeigte aufnehmen und damit erzählerisch bearbeiten. Mittlerweile hat die Anwendung dieser Methode selbst das kommerzielle Mainstreamkino erreicht und eröffnet vor allem der Generation der sogenannten Digital Natives neue Erzählweisen und visuelle Reize.


DAS ZEIGEN

Die Institution Kino bedeutet primär: einzelne Erfahrungen in Gemeinsamkeit, projizierte Fläche in voluminösen Räumen, Körper, Tiefe, Isolation, Paradoxie, Rhythmus, Bewegung, Fließen, das Sich–Hingeben an eine Illusion der Kontinuität, des Echten und der Wahrheit. All dies, trotz der Gewissheit, die Vorführung ist eine reine Illusion von Bilderfolgen, Schnitten oder Synchronisationen.



Während das Theater Dialoge liebt, meidet der Film und das Kino diese direkt. Film erzählt durch Bilder, weniger durch Text. Der Ton kam erst nach dem erfolgreichen Animieren der einzelnen Standbilder als weitere gleichberechtigte Ebene hinzu. Die durch Akustik übermittelten Wörter oder Laute der Sprache (im Gegensatz zu Zwischentafeln oder Untertiteln) zeigen bereits auf etwas anderes als sich selbst. Das durch Sprache Bezeichnete liegt ausserhalb seiner selbst.



Der erste Teil ›PRISMA‹ referiert noch auf eine äußere Wirklichkeit, da die analoge Filmkamera Versionen von externen Realitäten in ihrem Inneren umcodiert und diese abbildet. Es entspricht einer ethischen Betrachtung. Bildelemente symbolisieren reale Handlungen und sind Artefakte derer.



Der zweite Teil ›KYRA‹ hat keine äußere Referenz, keine Mimesis im traditionellen Sinn mehr. ›KYRA‹ begibt sich auf eine Reise, die durch äußere Einflüsse getriggert ihren Anfang nimmt. Dieser Teil entspricht einer ästhetischen Betrachtung.



Das Gezeigte, sei es Bild oder Schwarzbild, hat (überhaupt) keine Referenz, d.h. das Gezeigte/Gesehene ist dubitativ; es zweifelt sich in seiner Oberfläche und seinen Darstellungsmotiven automatisch selbst an. Es wird angezweifelt und zweifelt an. Computer haben hermetische Schirme als Barrieren zur Aussenwelt, die ein äußerliches Eindringen verhindern. Sie erzeugen einen hermetisch–homogenen Raum, ein System welches durch die spiegelnde Oberfläche (glossy) noch akzentuiert wird. Im Ganzen aber verliert sich die Wirkungskraft mimetischer Abbildungen, da die Aura des Beobachteten verschoben wird, da alles nur (noch) Abbildung ist.

Der spezifische Ort der Bildquelle ist unbekannt und auch irrelevant, jedoch universell und spontan für jeden begreifbar. Der Bildschirm verrät nur aufgrund der sprachlichen und geographischen Prägung des Betriebssystems eine Verortung in Deutschland. Das visuell valide Spielfeld des Computers und die Logik des operativen Systems beinhalten keine Faktoren wie Ort und Lichtverhältnisse zur korrekten Funktion, zur Berechnung von Wahrheit und Schönheit. Der Computer ist nach Innen hin ortlos – lediglich Zeit und Raum spielen eine Rolle. Das Gesehene ist eine dramatisierte Stückelung, Abfolge und Zusammensetzung bestimmter vorher zurechtgelegter Elemente; zusammengehalten durch tatsächlich zeitgleich stattfindende Aktionen. Der Schirm der Bilder ist kein Fenster zur Welt mehr, es ist ein schrankenloses Tor.
Die omnipräsente Fläche des Displays ist eine Verkörperung eines Aktionsraumes, eines Zuhause, eines Ortes, an den man täglich zurückkehrt um dort zu arbeiten, an dem man versucht zu leben. Man erledigt an einem solchen Ort Aufgaben, ist formell gerüstet für Effizienz. Wie radikal zu denken, dem Einzelnen am sogenannten Personal Computer (der meistens nicht kollektiv genutzt wird) die Möglichkeit der absoluten Selbstverwaltung zu überlassen.



Vermeintlich reine Privatheit und Pseudeoindividualität wird permament durch die Benutzer zelebriert und der abermals für jeden frische Garten einer Systeminstallation unterliegt im Laufe der Benutzung einer unausweichlichen Verwilderung, Überlagerung und Abnutzung. Diese manifestiert sich in den Abläufen der Eingaben, der durch plugins, updates und cracks mutierten Programme und deren Verknüpfungen zu Ordner. Die Navigation durch das jeweilige Betriebssystem, die Möglichkeiten des Sichtens von Bildern und Dokumenten, die Materialbeschaffung etc. bestimmt das alltägliche Denken mit. Wie die Wahl des Personal Computers als Reisemittel auch Denkweisen zulassen kann und andere dabei verbietet und ausschliesst.



Das Geschehen ist in absolutes Licht getaucht, es herrscht eine gnadenlose objektive (entmenschlichte und empathielose) Beleuchtung, die sezierend bis auf das letzte darstellbare Pixel die Auflösung analysiert. Der Anspruch an die generierten Bilder gleicht dem an die Welt. Auflösung bedeutet (neue) Information. Bleibt man im Sehen stehen, so auch im Denken. Die Vorgehensweise gleicht einem operativem Eingriff, medizinisch unter Optimalbedingungen vorgenommen.



Autopsie und Empirie erlebten in der frühen Neuzeit einen erheblichen Aufschwung, der nicht zuletzt auch für die Betrachtung von Kunst konstitutiv war. Die hiermit verbundenen Strategien des Zeigens, des Überzeugens und Beweisens spielten nicht nur in der frühneuzeitlichen Wissenschaftspraxis eine tragende Rolle, sondern auch in zunehmendem Maße in der zeitgenössischen Kunstliteratur und der noch jungen Disziplin der Kennerschaft. Besonders deutlich wird die Bedeutung von Autopsie und Empirie zudem in den Bereichen der Sammlung und Präsentation von Archiven.



›a film by‹ behandelt den Modus einer utopischen, fließenden Welt, welche sich an der Oberfläche unserer Wahrnehmungsapparate niederschlägt, einer Eigendynamik, die sich auch ohne unser Zutun stetig verändert. Die Verlagerung der Erzählung und die Beschränkung auf das Innere des Rechners, auf die Logik des operierenden Betriebssystems, etabliert einen eigenen Rhythmus, eine eigene Stimmung und Aura, welche sich im Falle von ›a film by‹ aus einer Formalität heraus ergaben.



Entstanden während einer Zeit des Paradigmenwechsels von Analog zu Digital, von SD zu HD, thematisiert ›a film by‹ das Momentum des Fehlers (visuell als Glitch und verminderte Framerate dargestellt) als einen pre–faktischer Zustand. Einbrüche der Framerate, des streams, werden während der Betrachtung akzeptiert aber unbewußt als unvollkommen und mangelhaft klassifiziert. Die niedrige Framerate erzwingt automatisch einen Vergleich durch die Kontrastierung zu bereits höher auflösbaren Bildern, zur jeweiligen Speerspitze der technischen Entwicklung.



›a film by‹ ist zu seiner Entstehungszeit bereits ein Artefakt und nimmt die eigene Zersetzung zeitlich vorweg, beteiligt sich nicht am Rennen um optimalste Auflösung und eine durchgängig verlustfreie digitale Migration der Bilder von Plattform zu Plattform. Es ist ein Querschnitt und Standbild im Übergang noch vor 8K und VR.



Ein Fehler bedeutet, daß etwas im Jetzt passiert, es ist eine Satori–Erfahrung, da diese Wahrnehmung die Betrachtenden völlig spontan und überraschend trifft (wie das plötzliche Reißen des Zelluloids während einer Filmvorführung). Zeitlichkeit und Planung werden der vordefinierten Struktur entzogen und in den Jetzt–Moment transponiert. Digitale Glitches sind wie Schockzustände, Traumata, Kollisionen mit der Wirklichkeit, die etwas unbeabsichtigt zu einer Groteske, die eines Goya und Picasso würdig wären, machen.



Die Stilisierung des offensichtlichen Fehlers beinhaltet die Rekonstruktion der Wahrheit im mangelhaften und unvollständigen Zeigen. („Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“) Das vorgeblich Fehlerhafte ist als bereits korrekte Anwendung seiner Zeit voraus. Es nimmt ikonographische Paradigmen vorweg.



Auch die Unschärfe fungiert als direkter Mangelverweis: Darstellbares verbleibt stets als Manifestation temporärer Perfektion (HD) und wird zu einem späteren Zeitpunkt (im Kontext fortgeschrittener technischer Präzisionen) unvermeidlich unscharf erscheinen. Die Framerate als auch die Schärfe stehen dem absoluten Flow, dem Fluß entgegen. Das jeweils individuelle Endgerät des Rezipienten bestimmt jedoch die Qualität mit. Prinzipiell kann man sich aber nie völlig sicher sein, ob der Mangel nicht doch nur von der Konstitution des eigenen Endgerätes abhängt und individuell in der Qualität der Darstellung bedingt wird.



Dies ist das Ende der Geräte; zurück zum Anfang.



Wenn sich alles stetig verändert, welchen Sinn hat es dann noch am Konzept Realität festzuhalten? Schließlich hat sich das im Fluß befindliche im Zuge der Definition bereits zu etwas anderem transformiert.
Die Komplexität eines strukturellen Systems verlangt nach Ritzen, Spalten und Öffnungen und hat den Fehler als immanenten Baustein des Gerüstes eingepflanzt (Backdoor–Mentalität). Der Fehler, die Lücke, das Stocken als Artefakt impft, induziert, entfacht und spielt mit der philosophischen Bedingung einer Möglichkeit von Welt.



Jedes digitale Statement personifiziert eine neue Spielbedingung, die sich dynamisch mit immer neuen Spielregeln selbstbezüglich erweitert, als stets neu iterierte Wirklichkeit jenseits des analogen Mediums. Es kann in diesem hermetischen System keinen klassischen Schnittfehler mehr geben. Alle Operationen sind sinnvoll und richtig, man kennt und vertraut dem Wechsel der Fenster, der Ein– und Ausblendungen als Benutzer, da man diese Sprache ganz natürlich erlernt hat. Alles Funktionelle ist überzogen von ornamentaler Ausschmückung. Die Grundfunktionen sind bereits vordefiniert, die (visuelle) Umsetzung ist Kontextabhängig und kulturell gefärbt. Das Aussehen von Betriebssystemen kann sich wandeln und flexibel sein, die logische Struktur ist aber basal und fundamental.

Während Maschinen traditionell Ein– und Ausschaltknöpfe hatten, führte die Entwicklung dazu, daß Computer nicht mehr durch spezielle Knöpfe geschaltet werden können. Diese Art von Systemen stehen stets bereit und sind nur noch durch Befehle aus dem Innerem des Betriebssystems steuerbar oder terminierbar. Diese Rechenmaschinen sind immer an und haben ein möglichst kontinuierliches Bewußtsein; es passiert immer etwas. Der Rechner ist ständig animiert und so hat selbst das für den Benutzer unbewegte Standbild den selben Status wie ein bewegtes Bild. Es unterliegt exakt den selben Kriterien der Etablierung. Da nun jeglicher neue Input, Reaktionen generiert (selbst vermeintliche Fehler), gibt es keine Möglichkeit, der Logik des Bildererzeugens zu entkommen. Dargestelltes ist gleichwertig, „reale“ Handlungen sind von Abbildungen ununterscheidbar.

Die in der Nachkriegszeit aufgestellte Maxime „Nie wieder“ wird aktuell im Europa und im Deutschland des Jahres 2019 erneut auf die Probe gestellt. Oft durch Isolation und narzistischer Selbstbestätigung in sozialen Filterblasen bestärkt, ist das erneute Erstarken populistischer Denkweisen gemischt mit Geschichtsrevisionismus sowie fehlgeleiteter Rückbesinnung auf dunkle Kapitel faschistischer Diktaturen bemerkbar. Unreflektierte und schamlose Positionierung hinsichtlich rechter und nazistischer Parolen gehen einher mit einer Verherrlichung der Unrechtsmechanismen der deutschen Naziherrschaft.
Auch aufgrund der omnipräsenten Iteration in pseudodokumentarischen TV–Formaten (Infotainment) auf unzähligen Nachrichtenkanälen gelingt es, zum Reiz des Unheilvollen, Bösartigen und Finsteren beizutragen, ohne die Wirkungsmacht und die Strategien der zugrundeliegenden Propaganda zu hinterfragen.



Dieser Trivialisierung und Verdrängung des Bösen, der zunehmenden Radikalisierung, kann sicherlich nicht ausschließlich mit didaktischen Methoden geantwortet werden.



REZENSIONEN



„Eine unkonventionelle Mischung, welche den Bogen über 16 Jahre hinweg spannt. Das ist überraschend.“ – Dieter Daniels, Professor für Medienkunst

„Das muß ich mir nicht nochmal anschauen!“ – Dr. Franz Schmidtkunz, Denkmalnetz Bayern

„Es ist das Gegenteil vom dem was du ursprünglich darüber dachtest. Ich hätte es auch so machen wollen. Du kamst mir bevor.“ – Alba D‘Urbano, Professorin für Medienkunst der Klasse Intermedia

„Soll man das einen experimentellen Film nennen?“ – Clemens von Wedemeyer, Professor für Medienkunst, Klasse Expanded Cinema

„Die Bilderfolge machte mir Schwierigkeiten. Welchen Stellenwert hat dabei der Ton?“ – Maria Auerbach, Medienkünstlerin

„Du wolltest es genau so. Ich musste dabei lachen.“ – Nicolás Rupcich, Medienkünstler

„Es macht vielleicht für dich Sinn, aber die ZuschauerInnen wissen es nicht.“ – Carolin Nitzsche, Galeristin ASPN Leipzig


Fact Sheet
TITEL a film by

Bestehend aus ›PRISMA‹ (min. 02:25–27:02, miniDV, TV, VCR, MiniDisc, Walkman, © 1999) und ›KYRA‹ (min. 28:26–45:18, Full–HD, © 2015).

Screencapture, Full–HD (1920x1080px), 48:50 min., optionale Untertitel, 1999–2015.


STICHWÖRTER / TAGS

Hund, Zen, Diplom, experimentelles Kino, Fehler, Kunst, Bildschirmaufnahme, Ebenen, Beobachtung, Geschichte, Hören, Zeigen, Intermedia, Buddha, Vergangenheit, Subjekt, Unterbewusstsein, Objekt

GENRES
Experimentalfilm | Screencapture | Remake | Videoessay | Dokumentation | Drama | Fiktion

CREDITED CAST
KYRA Kira
Erich Weisz Gottfried Binder

LÄNDER GER | INT
SPRACHEN Deutsch, Englisch

PREMIERE 02 Juli 2015 (Deutschland)

FILMING LOCATIONS
Nürnberg, Leipzig, Desktop
Company Credits:
caohom.com

0[...]0.org
QUOTES [from trailer] Kyra: Muuhh. [hears a noise]
Technical Specs Laufzeit: 48:50 min, optional mit Untertiteln Deutsch/Englisch (harcoded)

Verfügbar als digitaler H.264–Container, DVD, Blu–ray und als komprimierter Onlinestream.
TON Stereo | Dolby (theatrical print)
FARBE S/W, Farbe
Aspect Ratio 2.35 : 1

VERBINDUNGEN
rescue recoveries

ENSÓ round:one

caohom.com – a sequence collection effort. (2009–2015)

STREAM. In: cynetart – international festival for computer based art, Hellerau - Europäisches Zentrum der Künste, Dresden 2013.

Binder, Gottfried: ›dis≠play≈er‹. Selbstreferentialität in Spiel und Kunst. Theoretische Diplomarbeit, Leipzig 2015.

WEB
kyra.gottfriedbinder.de
caohom.com/kyra
vimeo.com/caohom/kyra

PRISMA

Details
PRISMA
Eine remastered Version der Arbeit von 1999.

prisma 3840 × 2880

EXPOSEE

›PRISMA‹ untersucht in sich wiederholenden Schleifen inhaltlich geschichtliche und psychologische Muster in einer fast unerträglichen Weise. Es geht um Nazis. Es geht um Wiederholung der Banalität des Bösen*. Es geht um Aufarbeitung. Es ist eine Zumutung. Es ist eine Konfrontation mit der Vergangenheit Deutschlands. Eine hörbare und sichtbare Tortur.
* (Arendt, Hannah: Eichmann in Jerusalem: A Report on the Banality of Evil. New York 1963, dt. Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Piper, München 1964; 14. Auflage, 1986, ISBN 3-492-20308-6.).

Das Video und die davor entstandene Audiospur oszillieren in sich und um sich selbst und stellen Fragen an die Zumutbarkeit des Gehörten und Gesehenen. Sie fordern von den Zuhörenden und Zuschauenden eine klare Positionierung; entweder zum Inhalt oder zur audiovisuellen Ästhetik. Beide Teile stehen formell und ästhetisch in starkem Kontrast zueinander und sind in sich verwoben. So wie unterbewusste Triebe und Ängste der Dynamik des autonomen Handelns zugrundeliegen und diese beeinflussen, sind beide Teile ineinander eingebettet und treten miteinander in Dialog.

›PRISMA‹ referiert noch auf eine äußere Wirklichkeit, da die analoge MiniDV-Filmkamera Versionen von externen Realitäten in ihrem Inneren umcodiert und diese abbildet. Es entspricht einer ethischen Betrachtung. Bildelemente symbolisieren reale Handlungen und sind Artefakte derer.

REMASTER

Die in der Nachkriegszeit aufgestellte Maxime "Nie wieder" wird aktuell im Europa und im Deutschland des Jahres 2023 erneut auf die Probe gestellt. Oft durch Isolation und narzisstischer Selbstbestätigung in sozialen Filterblasen bestärkt, ist das erneute Erstarken populistischer Denkweisen gemischt mit Geschichtsrevisionismus sowie fehlgeleiteter Rückbesinnung auf dunkle Kapitel faschistischer Diktaturen bemerkbar. Unreflektierte und schamlose Positionierung hinsichtlich rechter und nazistischer Parolen gehen einher mit einer Verherrlichung der Unrechtsmechanismen der deutschen Naziherrschaft. Auch aufgrund der omnipräsenten Iteration in pseudodokumentarischen TV–Formaten auf unzähligen Nachrichtenkanälen gelingt es, zum Reiz des Unheilvollen, Bösartigen und Finsteren beizutragen, ohne die Wirkungsmacht und die Strategien der zugrundeliegenden Propaganda oder des Click-Baitings zu hinterfragen. Dieser Trivialisierung und Verdrängung des Bösen, der zunehmenden Radikalisierung, kann sicherlich nicht ausschließlich mit didaktischen Methoden geantwortet werden. Es braucht vielleicht wirklich einer mehr oder weniger schockierenden Konfrontation.

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EXPOSEE

›PRISMA‹ examines historical and psychological patterns in terms of content in repetitive loops in an almost unbearable manner. It's about Nazis. It is about repeating the banality of evil.* It's about processing. It's an impertinence. It is a confrontation with Germany's past. An audible and visible torture.

The video and the audio track that came before it oscillate within and around themselves and pose questions about the reasonableness of what is heard and seen. They demand a clear positioning from the listeners and viewers; either on the content or on the audiovisual aesthetics. Both parts are formally and aesthetically in stark contrast to each other and are interwoven. Just as subconscious drives and fears underlie and influence the dynamics of autonomous action, both parts are embedded in one another and enter into a dialogue with one another.

›PRISMA‹ still refers to an external reality, since the analog MiniDV film camera recodes versions of external realities inside and depicts them. It corresponds to an ethical consideration. Picture elements symbolize real actions and are artifacts of them.

REMASTER

The post-war maxim "Never again" is currently being put to the test again in Europe and Germany in the year 2023. Often strengthened by isolation and narcissistic self-affirmation in social filter bubbles, the resurgence of populist ways of thinking mixed with historical revisionism and a misguided return to dark chapters of fascist dictatorships is noticeable. Unreflective and shameless positioning with regard to right-wing and Nazi slogans go hand in hand with a glorification of the injustice mechanisms of German Nazi rule. Due to the omnipresent iteration in pseudo-documentary TV formats on countless news channels, it is possible to contribute to the appeal of the ominous, malicious and sinister without questioning the effectiveness and strategies of the underlying propaganda or click-baiting. This trivialisation and suppression of evil, the increasing radicalisation, can certainly not be answered exclusively with didactic methods. It might really need a more or less shocking confrontation.

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Prisma (hier: memory is fear of pain) thematisiert den Umgang von Massenmedien, besonders der des Fernsehens und der Printmedien, mit der Problematik der oberflächlichen, unreflektierten und unkritischen Darstellung von austauschbaren Inhalten innerhalb der Medienlandschaft.

Ein Synomym für bewußte, gezielte sowie berechnende Manipulation auf der einen Seite und auf der anderen Seite für die Verfälschung der Tatsachen, die aus einem unbewußten Drang entsprungen sein mag die allgemeine projektive Erwartungshaltung der Bevölkerung widerzuspiegeln, findet sich in dem Medienapparat des Dritten Reiches. Diese Berichterstattungen, Kommentare und Suggestionen, die sich mit der Zeit in ihren inhaltslosen Polemiken immer weiter hochschaukelten, bis sie schließlich in einer lächerlich übertriebenen Verherrlichung mündeten und komplett losgelöst von jeglichem Informationsgehalt waren (außer einem immer ständig repetitiven Element, wie z.B. die Fixierung auf eine Person, ein Endziel, eine Wahrheit etc.), setzte ich hier in Verbindung mit dem modernen Zeitgeist, der die heutigen Medien durchzieht. Die nationalsozialistischen Berichte und Nachrichten spiegeln, für mich nachvollziehbar, die Gefahren der heutigen Manipulationen uns Ausklammerung von Inhalten in den Massenmedien wieder.

Die damalige bösartige Verfälschung und Beschönigung der Kriegsrealität gibt es in der heutigen modernen und zivilisierten Mediengesellschaft zwar nicht mehr, oder noch nicht in diesen Ausmaßen, aber dennoch findet man in Nachrichtensendungen und Berichten eine unterschwellige Ignoranz und Arroganz gegenüber ernsthaften Gräueltaten. So verschmilzt z.B. die Realität grausamer Unfälle mit Werbebotschaften, Wettervorhersagen gehen unmittelbar Kriegsbildern vorher - und all das, ohne mit der nötigen (moralischen) Skepsis der Verbraucher/Zuschauer betrachtet zu werden. Der Krieg und die Gewalt sind ein Unterhaltungselement geworden, werden als normale Alltagsmeldungen wahrgenommen und werden auch als Showelemente indirekt gefordert. So verwundert es nicht, daß die Produktionskosten mancher Filmprojekte immer weiter in die Höhe gehen; weil doch verstanden wird, daß durch die richtigen Zutaten, wie Gewalt, Sex, heroische Personen etc., das Publikum bereit ist, einen Preis dafür zu zahlen, sich solch einen Film anzuschauen. Durch das Aufgreifen solcher Themen zahlt sich das Unterfangen (fast schon sicher) aus.

Auf eine populistische, äußere Wirkung sind aber nicht nur die Medien bedacht sondern auch die »Leitfiguren« unserer Gesellschaft; Politik ist längst überwiegend Inszenierung geworden, und basiert zunehmend auf der Simplifizierung von Tatsachen. Sicherheit, Wohlstand, Gerechtigkeit - das sind eben Themen die unsere Gelüste, Sehnsüchte und Ängste ansprechen. Und um der Sehnsucht nach einer Leitfigur nachzukommen, steht eben die Person im Vordergrund und nicht politische Leitsätze, steht eben die professionell inszenierte Wahlkampagne über dem Gedanken des politischen Inhalts. Und durch die symbiotische Beziehung von Medien und Politik, finden sie, in simplifizierter Form, Eingang in die Gesellschaft. Das Element der Darstellung von Idealen, der geschickten Thematisierung von emotionsbasierten Vorstellungen laßt sich auch in der Propaganda des Dritten Reiches finden und wurde dort auch nahezu perfekt angewandt.

Auch die Tatsache, daß sich neben den ernsthaften und kritischen Zeitungen die sogenannte Yello Press und die, von den Nachrichten differenzierten, News etabliert haben, zeigt doch erstens die vorhandene Nachfrage nach simpel strukturierten Themen und zweitens die Ignoranz gegenüber einer Konfrontation mit der Realität. Die Gesellschaft hat heute den Hang, sich viel mehr der Deviation zu widmen als dem Normalen. Das Interesse am Normalen erlischt, die Deviation begeistert. Die Inhalte der Berichterstattungen in den Tabloidmedien, wie Zeitschriften und Infotainmentsendungen sind doch allein auf eine ignorante illusorische Welt hin aufgebaut: Autos, Ficken, Geld, Schönheit, Ruhm: Themen die sich in jeder einzelnen Ausgabe wiederholen. Das Reduzieren auf allgemeinverträgliche Themen und Symbole, mit dem Ziel ein möglichts großes Publikum anzusprechen, ist eindeutig vorhanden. Eine kritische Auseinandersetzung mit Themen außerhalb dieser Seifenblasen findet nicht statt. Eine Spartensendung, die nur für einen Bruchteil der Zuschauer interessant ist, setzt sich in einem von der Akzeptanz der Bevölkerung finanzieten Sender, nicht gegen ein, auf eine möglichst breite Zustimmung zugeschnitenes, populistisches Konzept durch. Durch die Verbreitung gleichartiger Erregung, nivellierter Meinungen und Wertungen schaffen die Massenmedien Einförmigkeit, die als Gefährdung für die individuelle Meinungsbildung gewertet werden kann.

Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden sich zu unterhalten, abzuschalten, umzuschalten, aber die Nachfrage nach solchen polemischen Inhalten zeigt doch, daß kritische oder auch nur persöhnliche Reflektion oft den Konsumenten überfordert und deshalb die Presentation des Poppigen, das Bunte und das Unterhaltsame bevorzugt wird. Wie soll denn Geschichte verarbeitet werden, wenn nicht einmal aktuelle Ereignisse kritisch überdacht werden? So wie diese aktuelle Realität verdrängt wird und man sich ihr dadurch verschließt, daß man Medienformen unterstützt, die sie erst gar nicht thematisieren, hat man Geschichte ebenso aus dem Alltagsbewußtsein verdrängt. Geschichte wird als etwas passiertes, Hermetisches angesehen, etwas was abgeschlossen als Anschaungsobjekt archiviert wurde.

Dennoch lebt Geschichte weiter und ist als Baustein der heutigen Moral manifest. Mechanismen des Kultes und der Gewalt leben ebenso weiter. Und diese unbewußten Parallelen versuche ich durch die Bilder deutlich zu machen. Da schwebt der Geist des Faschismus über Aktienkursen hinweg (die Verbindung des Drittes Reiches zu heutigen Pharma/Chemieunternehmen oder Autofabrikanten sowie Computerherstellern ist bekannt), jubelnde, glückliche Kinder stehen neben strahlenden Hausfrauen in TV-Spots, vermischen sich dann mit Flüchtlingsströmen die wiederrum auf einem Fußballfeld spazieren gehen. Die einfache symbolische Botschaft des Hakenkreuzes wird von verlockenden Telefonnummern und Ruf mich an! Parolen überdeckt. Flaggen wehen über Basketballspielern, Comicfiguren gesellen sich zu dem Propagandaminister oder stehen heroisch über Massenparaden. Das alles mündet durch die verwirrende Überlagerung und Gegenüberstellung entweder in Banalität und Lächerlichkeit, da keine deutlichen Botschaften festzustellen sind, oder sie erzeugen vielleicht Assioziationen der Integrität und der Parallelen, da man sich so sehr an ähnliche, inhaltlich austauschbare, Bilder gewöhnt hat, die immer wieder auf die gleichen Grundelemente zurückgreifen. Wichtig ist außerdem die Tatsache, daß gewisse, dem Destruktiven zugeordnete Aspekte, heutzutage überall in unserer Gesellschaft zu finden sind. So sind Gewalt und unreflektierte Massenbegeisterung normale Bestandtteile von Fußballspielen und Fernsehfilmen, von Computerspielen und Musik. Besonders in diesen Bereichen ist das Phänomen des Personenkultes, des Zugehörigkeitsverlangens und der Sensationsgier spürbar. Durch die ständige Verschmelzung und Übereinanderlagerung von historischen Originalaufnahmen und aktuellen Fernsehbildern, will ich auf diese nur schwer zu ziehende Grenze zwischen Unterhaltung und Realität hinweisen.

Das Medium der Photographie ist außerdem gut dazu geeignet Vergangenheit und Gegenwart miteinander in Verbindung zu setzten und hat außerdem einen sehr starken Bezug zur Zeit an sich: Die Erste Stufe des Photos ist der Zeitpunkt des »Bildermachens«, die Zweite Stufe ist dann das manifestierte Photo in einer beliebigen Form. Diese zwei Schritte sind aber deutlich durch eine längere Zeit voneinander getrennt: zuerst wird das Photo geschossen, dann muss der Film entwickelt werden, dann muss schließlich noch das Negativ zu einem Print ausgearbeitet oder eingescannt werden. Und erst nach all diesen Prozeduren kann man das Belichtete als Bild betrachten. In all diesen Schritten ist das Photo sehr stark an strenge Zeitvorgaben gebunden: Beim Belichten kommt es auf jede Tausendstel Sekunde an, der Film und die Chemie sind ebenfalls ganz genau an zeitliche Vorgaben gebunden und schließlich beim Vergrößern kommt es auch auf eine sekundengenau Belichtung an. Insofern beinhaltet Photographie eine ganz ausgeprägte zeitliche Komponente, die zwar in der Gegenwart mündet, die aber in der Vergangenheit verankert ist und mit Erinnerungen oder geschichtlichen Begebenheiten in Verbindung gebracht wird - ebenso besitzen Photos einen dokumentarischen Charakter, sie suggerieren dem Betrachter Nüchternheit, Authentizität und Unverfälschtheit. Das Medium der Photographie scheint mir also die notwendigen, geschichtlichen und dokumentatorischen Attribute zu beinhalten, die ich bei den Collagen nur durch eine andere Form hervorheben konnte. (Etwa durch Einbeziehen organischer Materialien, die sich im Laufe der Zeit zersetzen und das Bild verändern.)

Das Ziel, daß ich mit Prisma erreichen wollte, zeigt sich natürlich in der Polarisierung, die die Bilder hervorrufen. Da Aufmerksamkeit in modernen Gesellschaften eine knappe Resource darstellt - womöglich die knappste überhaupt - ist die Anwendung bekannter und zugleich emotionsgeladener Botschaften, sowie die Anwendung unkonventioneller Technik attraktiv, wenn es darum geht, auf der einen Seite das mediale Rauschen zu übertönen und auf der anderen Seite Meinungen zu bilden bzw. den Betrachter zu zwingen, eine konkrete Stellung zu beziehen. (Das Verwenden von Gewalt und Sex, Verbotenem und Verabscheutem übt auch einen großen Reiz auf den Betrachter aus und steigert die emotionale Bindung an die Bilder.) Durch die hervorgerufenen Assoziationen, die natürlich verstörend wirken, schaffen es die Bilder mit dem Betrachter zu kommunizieren und werden in die öffentliche Wahrnehmung gerückt, da die Aufmerksamkeitszuwendung der Medien identischen Mustern folgt. Diese simpel gestrickten Muster deutlich zu machen und den Betrachter in einen Dialog mit den Bildern zu verwickeln, ist mir wichtiger als nur ein schönes Photo zu zeigen.

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26:00 min

Gottfried Binder

Gottfried versucht gerade hier und dort so Zeug zu machen, macht sonst auch Workshops, hat Publikationen in Ausstellungskatalogen, Künstlerbüchern und Magazinen; Kooperationen mit kuratorischen Teams und Institutionen

 

Studien der Neueren Deutschen Literaturwissenschaft, Indogermanistik, Indologie (Nebenfächer), Philosophie und Kunstgeschichte (Hauptfächer) in Hagen, Nürnberg/Erlangen, Rom und Leipzig. 

 

Abgeschlossenes Studium der Kunstgeschichte und Philosophie (Magister Artium, Uni Leipzig) sowie Bildender Kunst (Diplom, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig). Und immer noch Arbeiterinnenkind. 

Ausstellungen und Projekte in Deutschland, England, Polen, Italien, Schweiz, Frankreich, Südkorea, Rumänien und Österreich. 

Forschung und Lehre zu popkulturellen Phänomenen und zu Theorie und Geschichte künstlerischer Medien, vor allem zeitbasierter Film– und Videokunst, zur Selbstrekursivität und zum Kulturerbe.

 

Tätig in unabhängigen künstlerischen Projekten, als Kurator und als freier Künstler und Philosoph; praktische Lehrerfahrung an Hochschulen und im öffentlichen Dienst.

 

Gottfried Binder

Bildende Kunst, Film / Funk, Neue Medien
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